Es ist ein häufiges Phänomen, dass Krisen bereits nach wenigen Wochen aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwinden. Jüngstes Beispiel ist das Erdbeben in der Türkei und Syrien. Bereits jetzt, knapp drei Monate nach dem Beben, verliert das Thema deutlich an Aufmerksamkeit – unabhängig vom Ausmaß der Not vor Ort. Dies hat jedoch schwerwiegende Folgen für die betroffenen Menschen. Denn ohne Aufmerksamkeit kein Geld und somit auch weniger Hilfe.
„Der Krieg in der Ukraine hat in der Tat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen. Deshalb drohen verheerende Konsequenzen für andere Krisen weltweit“, sagt Boris Breyer, Pressesprecher der SOS-Kinderdörfer weltweit. So sei es im Moment sehr viel schwieriger geworden, Gelder für zum Beispiel die Hungersnot in Ostafrika einzuwerben. Breyer sagt: „Die Menschen in der Ukraine haben jede Unterstützung verdient! Aber wir dürfen die Not in anderen Teilen der Welt nicht vergessen!“
So sind im Jahr 2023 weltweit 339 Millionen Menschen in 69 Ländern auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das sind 65 Millionen mehr als im Vorjahr. Die meisten von ihnen leben in sogenannten vergessenen Krisen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit engagieren sich zahlreiche humanitäre und entwicklungspolitische Organisationen für eine Verbesserung der Situation. Aber auch viele Selbstbetroffene setzen sich unermüdlich für ihre Gemeinden ein. Ihr Engagement gehört #InDenFokus. Kriege und Flucht, anhaltende Dürren und verheerende Überschwemmungen, Hunger und Armut auf dem Vormarsch: Länder wie Bangladesch, Haiti und Malawi stehen stellvertretend für die vielen humanitären Krisen, in denen Menschen von der Welt unbemerkt leiden und sterben.
Bangladesch – Klimawandel, eine lähmende Wirtschaftskrise und riesige Flüchtlingslager, in denen sich Hunderttausende Rohingya-Flüchtlinge drängen: Bangladesch hat mit drei schweren Krisen gleichzeitig zu kämpfen. „Es bedarf einer größeren internationalen Aufmerksamkeit und einer stärkeren Solidarität, um diese Probleme anzugehen“, appelliert Enamul Haque, Leiter der SOS-Kinderdörfer in Bangladesch. „Vor allem durch den Klimawandel laufen in unserem Land Millionen von Menschen Gefahr, ihr Zuhause zu verlieren, und unzählige Leben stehen auf dem Spiel. Jedes Jahr verschärfen die Umweltkatastrophen die Armut, indem sie Menschen vertreiben, Ernten vernichten und Infrastruktur zerstören“, so Haque weiter.
Hinzu komme eine schwere Wirtschaftskrise, die die Armut der Menschen noch verstärke. Haque sagt: „Familien kämpfen, um über die Runden zu kommen, und viele Kinder sind deshalb von Kinderarbeit und Schulabbruch bedroht.“
Und während schon die Einheimischen um ihr Überleben kämpfen, drängen sich über 900.000 Rohingya-Flüchtlinge in riesigen Camps – ohne ausreichende medizinische Versorgung, genügend Nahrungsmittel, häufig Kriminalität und Gewalt schutzlos ausgeliefert. „Eine Lösung für diese Krise ist nicht in Sicht“, sagt Haque.
Haiti – Haiti ist das ärmste Land des amerikanischen Kontinents und seit Jahrzehnten von Naturkatastrophen und Konflikten bedroht. Bandengewalt, Morde und Entführungen bestimmen den Alltag der Menschen und machen humanitäre Hilfe extrem riskant. Die SOS-Kinderdörfer sind eine von nur wenigen Hilfsorganisationen, die noch vor Ort aktiv sind.
Viele Kinder in Haiti haben keine Chance, zur Schule zu gehen. Zahlreiche Familien befinden sich auf der Flucht vor der Gewalt. Zudem haben viele Schulen den Betrieb eingestellt, da das Sicherheitsrisiko zu groß ist.
Darüber hinaus befindet sich der Inselstaat in einer schweren Hungerkrise – mit drastischen Folgen für die Kinder: Geschätzte 2,6 Millionen von ihnen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, jedes fünfte Kind ist chronisch unterernährt. Insbesondere die schlechte Ernährungssituation wirkt sich auch auf die Gesundheit vieler Kinder kritisch aus. „Unterernährung macht sie für Krankheiten besonders anfällig“, sagt Faimy Loiseau, Leiterin der SOS-Kinderdörfer in Haiti.
Loiseau appelliert an die internationale Gemeinschaft: „Die Weltbevölkerung hat eine Stimme, die sollte sie einsetzen, um für Sicherheit in Haiti zu sorgen. Es müssen konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Nur, wenn wir die Sicherheitsthematik lösen, kann Haiti wieder auf die Füße kommen.“
Malawi – Nach den verheerenden Zerstörungen durch den Tropensturm „Freddy“ droht dem südafrikanischen Land Malawi nach Angaben der SOS-Kinderdörfer eine Hungerkrise. „Wenn wir jetzt nicht schnell und umfassend handeln, ist das Leben zahlreicher Kinder in Gefahr“, sagt Smart Namagonya, Leiter der Hilfsorganisation in Malawi. Die Regierung hat den Notstand ausgerufen.
Die Auswirkungen des Sturms sind katastrophal: über 500 Menschen sind gestorben, ebenso viele werden noch vermisst. Mehr als 2 Millionen Menschen sind betroffen, davon über die Hälfte Kinder. Darüber hinaus droht der Ausbruch von Krankheiten, eine tödliche Gefahr vor Allem für Kinder.
Auch die Bildung der Kinder ist laut Namagonya gefährdet: Der Wirbelsturm hat fast 550 Schulen zerstört. Weitere 390 Schulen werden aktuell als Nothilfelager genutzt, sodass zahlreiche Kinder keinen Unterricht haben.
„Vor dem Sturm hatten die Menschen mit Armut zu kämpfen, jetzt haben sie nichts mehr – sie brauchen dringend Hilfe!“, sagt Namagonya.
Ostafrika – Die Felder sind verdorrt, Wasserstellen ausgetrocknet, die Tiere verendet: Die Menschen am Horn von Afrika leiden unter der schwersten Dürre seit 40 Jahren. Unzählige Kleinbauernfamilien kämpfen aufgrund der Klimakrise ums Überleben – und immer mehr Kinder sind von Hunger bedroht.
Die Hungerdürre in Ostafrika wird durch bewaffnete Konflikte in Somalia und Äthiopien sowie durch die globalen Folgen des Ukraine-Kriegs dramatisch verschärft: Denn die Ukraine und Russland zählen zu den wichtigsten Weizenexporteuren der Welt. Durch den Krieg ist der Handel unterbrochen und die Weizenpreise sind weltweit auf ein Rekordhoch geklettert. Lebensmittel werden immer teurer und für viele Familien unerschwinglich.
Rund 20,2 Millionen Kinder in Äthiopien, Kenia und Somalia sind von Hunger, Durst und Krankheiten bedroht – das sind mehr als doppelt so viele wie im Juli 2022. „Kinder sind besonders gefährdet, an den Folgen von Hunger und Mangelernährung zu sterben.Sie und ihre Familien brauchen dringend Hilfe – jetzt!“, sagt Boris Breyer, Pressesprecher der SOS-Kinderdörfer weltweit.
Hintergrund – Klimawandel, Folgen der Pandemie, Krieg in der Ukraine, Aufstände im Iran, Erdbeben in Syrien und der Türkei – nie zuvor wuchsen Kinder in einer Zeit auf, in der sich so viele schwerwiegende Krisen überlagerten. Die mediale Berichterstattung lenkt dabei den Fokus der Öffentlichkeit vor allem auf Katastrophen mit einem aktuellen Bezug. Doch inzahlreichen weiteren Regionen auf der Welt kämpfen Kinder und Familien seit Jahren ums Überleben – im Schatten der Öffentlichkeit und auf humanitäre Hilfe angewiesen. In einer Serie gehen die SOS-Kinderdörfer Krisen nach, die weitgehend im Verborgenen stattfinden und zeigen auf, warum wir die betroffenen Menschen nicht im Stich lassen dürfen. Die Serie ist Teil der Kampagne #InDenFokus. Rund 30 deutsche Hilfsorganisationen haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt vergessene Krisen in den Fokus zu rücken. Ziel ist es, das Bewusstsein für das Leid der Menschen zu schärfen, weltweite Notlagen, die in den Hintergrund geraten sind, wieder sichtbarer machen und über die Arbeit von Hilfsorganisationen vor Ort zu informieren. Über „Vergessene Krisen“ in Bangladesch, Haiti, Malawi und anderen Ländern.
(Original-Content von: SOS-Kinderdörfer weltweit, übermittelt durch news aktuell)